Wohnzimmer

Ich hatte gerade erst meine Mailbox abgehört und war auf eine verheulte und ziemlich verzweifelte Emily gestoßen. Leider war die Nachricht schon von gestern, ich hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen, gestern nicht rangegangen zu sein, aber gestern war ja auch sehr aufwühlen gewesen. Ich war so schnell wie möglich hergekommen. Nun was es schon fast wieder Abend und es begann zu dämmern. Ich klingelte an der Tür.
Diese Nacht hatte ich fast nicht schlafen können. Alles war so kompliziert im Moment. Ich hoffte, dass mit Emily eigentlich alles in Ordnung war und dass sie gestern nur einen Kleinkindverzweiflungsanfall gehabt hatte. Wo Sam wohl gerade war? Ich hatte einen Zettel an die Tür geklebt, auf dem stand, dass sie mich telefonisch erreichen konnte und wo ich war. Ich hoffte sie war wenigstens halbwegs okay. Seinem Freund einen Betrug gestehen zu müssen war wohl das Schlimmste. Oder das Zweitschlimmste. Einen Betrug gestanden bekommen war wohl noch schlimmer. Ungeduldig klingelte ich ein zweites Mal.

Es klingelte. Ben war gestern nicht mehr vorbei gekommen. Und das, obwohl ich ihn so ganz dolle gebraucht hätte. Ich war jetzt beleidigt und machte die Tür nicht auf, obwohl ich ganz genau wusste, dass er da gerade vor der Tür stand und draußen Sturm klingelte. Jetzt machte er sich sorgen. Gestern nicht? Vielleicht war er mit einer anderen zusammen gewesen und hatte mich dann vergessen. Das fand ich ungerecht. Jetzt sollte er draußen schmoren. Ich schaute aus dem Badezimmerfenster und heulte. "Ben, ich bin böse, ganz ganz böse auf dich!" Ich zog den Rotz, der aus meiner Nase lief, hoch und schniefte dabei ziemlich unprinzessinenhaft. Aber das war mir gerade schnurzpiepegal. Ich wollte dass er sich entschuldigte und ich rannte wieder zurück ins Wohnzimmer. Ich setzte mich aufs Sofa, zog die Beine an und legte meine Arme auf die Knie. So saß ich da und heulte so vor mich hin. Ich wollte so ne richtig tolle Entschuldigung. Denn gestern war wirklich dramatisch gewesen. Das würde ich ihm aber noch erzählen weil Ben fiel ja immer etwas ein. Er hatte ja seine Gitarre dabei und deswegen würde er mir bestimmt ein Liedchen singen vor der Türe und dann würde ich aufmachen und würde wahrscheinlich Rotz und Wasser heulen. Wor würden sogar in meinen Tränen ertrinken können, so würde ich heulen weil es ist ja auch was ganz schlimmes passiert.

Ein winziges bisschen entnervt stand ich vor Emilys Tür. War Andrew denn nicht wenigstens da? Sicherlich würde der wissen, was mit seiner Tochter los war. Ein weiteres Mal klingelte ich. Nochmal würde ich das nicht tun, dann würde ich eben wieder gehen. Es tat mir leid, dass ich heute so missmutig war. Klar, gestern hatte ich den starken Helden gespielt, als Sam verschwunden war, aber die Tatsache, dass ich noch nichts von ihr gehört hatte, und dass dieser William, wenn man ehrlich war, in der Oberliga spielte während ich F-Jugend-Niveau hatte, machte mir zu schaffen.
Schließlich sah ich Emilys Gesicht aus dem Badezimmerfenster schauen. "Hey, na, alles in Ordnung mit dir?", begann ich, doch dann schwirrte Emily auch schon wieder beleidigt ab. Ich seufzte. Eigentlich war ich wenig in Stimmung für einen Kleinkindtrotzanfall. Und ob ich heute die Geduld dafür mitbringen würde mich darauf einzulassen, wusste ich auch nicht. Es tat mir irgendwo leid, dass sie mich ausgerechnet heute erwischte, als den Typ, der ich normalerweise seltenst war. 'Krieg dich verdammt nochmal ein, Ben, und sieh zu, dass du Emily hilfst', befahl mein schlechtes Gewissen. Ich beschloss, ihm recht zu geben und klopfte dieses Mal an die Tür. "Hey, Ems, mach bitte auf. Es tut mir leid, ich hab deine Nachricht erst heute gekriegt.", sagte ich wahrheitsgemäß. Auf Spielereien war ich heute eher weniger gut zu sprechen. Etwas missmutig spielte ich einige Akkorde auf der Gitarre und rief mehr oder minder melodisch: "Holde Prinzessin zu Graham, erhöret mich! Nicht zu erscheinen am gestrigen Tage war töricht. Doch nun bin ich hier um sie zu erobern zurück, bitte, Prinzessin, verhelfet mir zu meinem Glück!" Ich musste jetzt doch grinsen. Irgendwie machte mich die ganze Emily-Spielerei glücklich, außerdem lengte es ab. Trotzdem hoffte ich, dass das jetzt reichte. "Komm schon, mach auf." Meinte ich und hatte dieses Mal noch nichteinmal einen nervigen Unterton.

Es war ganz witzig, was er da ... fabrizierte vor meiner Haustür und deswegen ließ ich ihn auch hinein. Und wie erwartet fiing ich bitterlich an zu weinen. Wäre es ein kleinkindertrotzanfall gewesen, hätte ich nur gestern am Telefon geweint und nicht heute. Aber es war ja was wirklich ernstes gewesen.
"Beeeeeeeeeeeeeeeeeeeheeeeeeeeen!" heulte und jammerte ich und kuschelte mich an seine Jacke, weil ich ja nicht so groß war. Seufzend hob er mich hoch. Er hatte selber etwas auf dem Herzen. Vielleicht würde er es mir ja erzählen, wenn ich ihn ganz nett fragte. Aber ich denke dass meine Situation gerade am brenzligsten war. "Ach Ben", jammerte ich nun an seiner Schulter.
"Es ist was ganz ganz dolle blödes passiert." Wir setzten uns aufs Sofa und er sah mich fragend an. "Papa hat ja gesagt", fing ich an und schnappte kurz nach Luft. Das hatte ich immer. Immer wenn ich zu viel heulte, bekam ich Schnappatmung. Das nervte tierisch.
"Papa hat ja gesagt dass ich auch ans Telefon gehen darf, wenn es klingelt." begann ich ein zweites Mal. "Dann soll ich immer sagen, dass mein Papa später zurückruft, weil er gerade sehr beschäftigt ist." Nicht jedes Kind in meinem Alter durfte ans Telefon gehen, wenn es allein zuhause war. Es waren sowieso eigentlich keine Kinder in meinem Alter allein zuhause.
"Jedenfalls bin ich gestern ans telefon gegangen und da hab ich mich ganz dolle feste erschrocken Ben" ich heulte schonwieder. Weil derjenige, der am anderen Ende der Leitung war, eigentlich niiiieeeee wieder in meinem Leben auftauchen sollte. "Nila hat angerufen und gefragt ob wir zusammen spielen wollten."

Schließlich wurde die Tür geöffnet und ich wurde auch schon von einem tränenverklebten Bündel begrüßt, das tatsächlich Emily war. "Hey.", meinte ich besorgt. Ich hatte ja nicht gewusst, dass es ihr so furchtbar ging. Seufzend nahm ich sie auf den Arm und ließ sie ihren Kopf in meiner Schulter vergraben. Sie versuchte mir etwas zu sagen, nur mit Mühe erkannte ich die Worte aus ihren Schluchzern. Andrew ging anscheinend lockerer mit Kindereriehung um, als ich es bisher vermutet hatte. Noch nie war ich jemandem begegnet, der sein fünfjähriges Töchterchen einfach so ans Telefon gehen ließ. Es war nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen, aber gut hieß ich das nicht.
"Nelly hat angerufen?", wiederholte ich ein wenig fassungslos. Verdammt. Nelly war früher Ems Kindermädchen gewesen. Emily hatte sich sehr gut mit ihr verstanden, vielleicht sogar so gut wie mit mir, aber eines Tages wäre Emily von ihr fast gekidnappt worden. Das war das, was mir Andrew über Nelly erzählt hatte. Mehr wusste ich nicht, auch nicht, was danach mit ihr passiert war. Ich dachte sie wäre womöglicherweise verklagt worden oder zumindest so sehr vergrault worden, dass sie freiwillig keinen Fuß mehr hierhersetzen würde. "Okay. Wann war das, und was hast du gesagt? Hat sie nochwas gesagt? Wo sie ist oder wann sie mit dir spielen wollte?" Ich geriet etwas in Panik, was wenn sie schon auf dem Weg hierher war? Naja. Mit einer Frau würde ich es wohl aufnehmen können, aber ich war ja nicht immer hier.

Ich schluchzte und heulte und war ganz schön böse auf alles und jeden momentan. Ich kuschelte mich an Ben mit meinem Piratenteddy und tat etwas was ich schon lange nciht mehr gemacht hatte.... Ich nahm meinen Daumen in den Mund. Das war schon irgendwie beruhigend. Ben wiegte mich sanft hin und her um mich zu beruhigen. Ich nickte auf seine Frage hin sehr energisch.
"Ich hab sie gefragt was sie von mir will und dass sie mich nur in ruhe lassen soll weil sie böse ist und ich hab ihr gesagt dass ich sie nicht mehr lieb habe", erklärte ich eifrig und aufgeregt.
"Da hat sie nur gesagt: Och meine kleine süße sture Emily, du weisst doch, wieviel Spaß wir immer zusammen hatten. Lass uns spielen, ich werde Dich abholen. Ich hab aber nein gesagt und hab sie gefragt ob sie nicht weggegangen war damit sie nie wieder kommt und sie meinte, dass sie Sehnsucht nach mir hatte und zurück gekommen ist. Ben sie war wirklich da aber ich hab ihr nicht die Tür aufgemacht. Ich hab mich in mein Bett gelegt und hab die Decke über die Ohren gezogen, damit ich sie nicht höre. " Mann ich hatte da eine Gänsehaut bekommen weil ich mich so gegruselt hatte. Aber jetzt war Ben da und alles war gut. Nelly wollte immer nur meinen Dad ärgern, das konnte ich mir sehr gut vorstellen.